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Das Dunluce Castle an der Küste von Antrim in Nordirland

Das Dunluce Castle an der Küste von Antrim in Nordirland

NordirlandBesteht für Tourismus Bedrohung durch Brexit?

An der grünen Grenze zwischen Irland und Nordirland könnten durch den Brexit alte Konflikte wieder aufbrechen – mit unabsehbaren Folgen auch für den Tourismus.

Ciaran O'Neill kennt die Vorzüge. Die Brücke zum Beispiel. 14,5 Millionen Pfund habe sie gekostet. »Sie ist heute ein Wahrzeichen der Stadt«, sagt der groß gewachsene Mann im blauen Blazer. Die ganze Stadt blühe mithilfe der Subventionen auf, die die EU in den vergangenen 20 Jahren geleistet habe. Aber jetzt geht O'Neill die Muffe. »Das einzige, was wir wissen, ist, dass wir nichts wissen.« Um ihn herum im Soda and Starch-Restaurant im Craft Village von Derry herrscht ein Gewirr von Stimmen. Die Kellner servieren nordirischen Lachs und Lammsteak. Auch Touristen sieht man immer öfter hier. Doch die Zeiten sind schwer, vor allem schwer vorhersehbar.

Für O'Neill ist es ein unerhörter Plan: Großbritannien scheidet am 29. März 2019 aus der EU aus. Danach wird es möglicherweise Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland geben. »Keine Ahnung, was dann passiert.« Dabei lief alles so gut. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, das die Gewalt in Nordirland nach fast drei Jahrzehnten beendete, war alles besser: Es herrschte Friede, die EU-Fördergelder flossen, die Wirtschaft zog an. Und damit soll jetzt Schluss sein?

Wer heute die Grenze zwischen Nordirland und Irland entlangkurvt, der sieht Stechginster allenthalben. Auf den Wiesen grasen Milchkühe und Schafe, zu denen die Kinder hier »Pullover-Schweine« sagen. Die Grenze schlängelt sich quasi unbemerkt über Wiesen und durch Wälder. Kein Schild weist darauf hin, dass man eine Grenze überquert. Klar: Britisches Pfund trifft auf Euro, Meilen auf Kilometer, englische Straßenschilder auf gälische. Doch all das sind Kleinigkeiten im Jahr 2018. Aber 2019?

O'Neill ist einer derjenigen, die skeptisch in die Zukunft blicken. Er war zwei Jahre lang Präsident der Northern Ireland Hotels Federation (NIHF), ist Vorstandsmitglied des lokalen Fremdenverkehrsamts und Besitzer des Bishop's Gate Hotels in Derry. »Es wäre ein Desaster, wenn es eine harte Grenze gibt», sagt O'Neill. Fast 30 Jahre lang war Derry einer der Brennpunkte der Auseinandersetzungen zwischen Protestanten, die sich der britischen Krone zugehörig fühlen, und Katholiken, von denen bis heute viele von einem vereinten Irland träumen. Mehr als 3.600 Menschen ließen bei den »troubles«, den Unruhen, ihr Leben. Seit dem Frieden boomt der Tourismus in Nordirland, auch in Derry. 1998 zählte die Stadt fünf Hotels und 100.000 Besucher im Jahr. 2017 waren es zwölf Hotels, Dutzende Bed and Breakfasts und 300.000 Besucher.

Damit die einst getrennten Viertel zusammenwachsen, wurde 2011 die 235 Meter lange Peace Bridge, die Friedensbrücke, über den Fluss Foyle eröffnet. Die zwei einander zugeneigten Pylonen stellen die beiden aufeinander zugehenden Religionen dar. »Die aufregenden Projekte in unserer Stadt verdanken wir dem Friedensprozess«, sagt der Hotelier. Derry sprüht derzeit vor Lebensfreude. Abends sind die Pubs voller junger Leute. Touristen wandern auf der Stadtmauer, der längsten und schönsten in Nordirland, spazieren durch die ehemaligen Problemviertel und bewundern die Murals, die politischen Wandmalereien aus der Zeit des Befreiungskampfs der Irish Republican Army (IRA).

»Das hier war einst Kriegsgebiet, heute zählen wir jeden Tag viele hundert Touristen«, sagt Kevin Hasson. Hasson wuchs in Derrys berüchtigtem Bogside-Viertel auf, dem Schauplatz vieler Auseinandersetzungen und des Blutsonntags, an dem britische Fallschirmjäger 1972 mehr als ein Dutzend unbewaffnete Demonstranten erschossen. Gemeinsam mit zwei befreundeten Künstlern hat Hasson zahlreiche Hausfassaden mit Malereien versehen. Sie zeigen viel IRA-Befreiungsrethorik, aber auch eine überdimensionale Friedenstaube, umrahmt von einem Ahornblatt, das Symbol für das Zusammenwachsen.

Der einstige IRA-Aktivist ist heute vor allem eins: Friedenskämpfer. Doch auch Hasson ist einfach nur wütend. »Seit 20 Jahren arbeiten wir daran, Derry wieder aufzubauen. Und jetzt will uns London das wieder nehmen?« Hasson ist Katholik. Aber fast jeder hier denkt so. 99 Prozent der Nordiren unterstützen den Friedensprozess. Selbst viele Protestanten sehen die Vorteile des wirtschaftlichen Aufschwungs. Deshalb hat die Mehrheit der Nordiren, fast 56 Prozent, gegen den Brexit gestimmt. In Derry waren es sogar 78 Prozent.

Und das aus gutem Grund: Fast ein Drittel seines Handels wickelt Nordirland mit der Republik Irland ab. Jeden Monat fahren Zehntausende Lastwagen über die 483 Kilometer lange Grenze. Viele Bauern in Nordirland könnten ohne EU-Subventionen nicht überleben. Betroffen wäre auch die lokale Wirtschaft. So wie George Fleming aus Newbuildings vor den Toren Derrys. Seine Familie stellt in vierter Generation alles her, was Landwirte brauchen: Traktoren, Güllelaster, Lastwagen. 50 Prozent der Rohmaterialien importiert Fleming aus der EU, er exportiert in alle Welt. »Keiner bezweifelt, dass Nordirland zu Großbritannien gehört. Es ist keine Frage der Souveränität, sondern der Wirtschaft«, sagt Fleming. Viele Unternehmen hätten wegen der unklaren Lage schon Investitionen verschoben. Zölle und lange Wartezeiten an der Grenze würden Produkte bei einem harten Brexit unweigerlich teurer machen.

Auch auf der anderen Seite der Grenze sehen viele den Brexit skeptisch. Tom Murray hat sein Büro in Castlefinn in der Republik Irland, nur einen Kreisverkehr von der nordirischen Grenze entfernt. Murray ist einer der größten Vertreiber von Pharma-Produkten in der Region. »Der Brexit droht nicht nur den Warenaustausch zu beeinträchtigen, er gefährdet auch das Karfreitagsabkommen von 1998, weil er dort eine Grenze schafft, wo es laut Friedensabkommen nie wieder eine harte Grenze geben dürfte«, sagt Murray. Es gebe immer Leute, die eine Eskalation für ihre Prinzipien ausnutzen. »An einer harten Grenze muss es nur ein, zwei Zwischenfälle geben, dann ist die Eskalation wieder da. Das ist das Problem mit dem Brexit: Er fördert traditionelle Denkweisen, die wir gerade loszuwerden hofften.«

Zwar will London eine harte Grenze auf jeden Fall verhindern. Doch praktikable Ideen, wie eine weiche EU-Außengrenze aussehen könnte, sind rar. Der Plan von Theresa Mays Regierung für eine Freihandelszone zwischen Großbritannien und der EU stößt bei Brexit-Hardlinern auf vehemente Ablehnung, Brüssel will ein »Rosinen-Picken« auf jeden Fall verhindern. Erhält Nordirland einen Sonderstatus, gäbe es zum Beispiel keine Grenzkontrollen, könnten via Nordirland nicht nur Zölle ausgehebelt werden, Großbritannien stünde auch weiter für Flüchtlinge und illegale Arbeitssuchende aus der EU offen. Für Brexit-Hardliner ein No-Go.

Einer jener Orte, die ebenfalls unter einer harten Grenze leiden würden, ist der Marble Arch Caves Global Geopark. Seine Höhlen, Wasserfälle und Wildmoore erlauben einen Blick in die Erdgeschichte. Seit 2007 ist die Landschaft der erste grenzübergreifende Unesco-Geopark der Erde. Das Gros der Besucher kommt aus beiden Teilen Irlands. Aber auch Deutsche, Franzosen und Amerikaner besuchen den Park immer öfter. Jedes Jahr zählt er 200.000 Besucher. »Wir sind in den vergangenen Jahrzehnten durch viele schwierige Momente gegangen«, beruhigt Martina O'Neill vom Geopark. »Vielleicht hilft uns diese Erfahrung auch jetzt.« Doch die Beeinträchtigungen durch eine harte Grenze sind nicht wegzureden.

Wer heute entlang der Grenze fährt, der merkt schnell, dass der Friedensprozess noch nicht beendet ist. Die gegenseitige Annäherung dauert an. Vor vielen Häusern in Nordirland weht die britische Fahne, vor andern die irische. Der Friedensprozess sei ein großer Erfolg, sagt Hotelmanager Ciaran O'Neill aus Derry. Der wirtschaftliche Aufschwung habe einen großen Teil zur Versöhnung beigetragen. Aber auch das weiß O'Neill: Alte Wunden könnten durch den Brexit schnell wieder aufreißen. »Die jungen Leute in Nordirland haben kaum noch Erinnerungen an die Troubles, die Älteren aber wissen nur zu genau, wie schnell die Situation eskalieren kann«, sagt der Hotelmanager. »Dabei wollen alle doch eigentlich nur eins: Frieden in unserem Land.«

Weitere Informationen:

Anreise: Zum Beispiel mit Lufthansa oder Air Lingus, von verschiedenen deutschen Städten nach Dublin. Oder mit Ryanair, zweimal wöchentlich von Berlin-Schönefeld nach Belfast.

Unterkunft: Bishop's Gate Hotel, 24 Bishop Street, Derry, BT486PP, Nordirland, Tel. 0044-2871-140300, Internet: bishopsgatehotelderry.com

Stadttouren in Derry: Martin McCrossan City Tours, 11 Carlisle Road, Derry, BT486JJ, Nordirland, Tel. 0044-2871-271996, Internet: derrycitytours.com

Unesco-Geopark: Marble Arch Caves Global Geopark, 43 Marlbank Road, Legnabrocky, Florencecourt, BT921EW, Nordirland, Tel. 0044-28-66348855, Internet: marblearchcavesgeopark.com

Literaturtipp: Garrett Carr, The Rule of the Land: Walking Ireland's Border, Faber & Faber 2017, ISBN 978-0-571-31337-2, 10,49 Euro

Weitere Auskünfte: Irland Information, Gutleutstr. 32, 60329 Frankfurt, Tel. 069-923185-0, ireland.com

(02.08.2018, srt)

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