
Das Bauhausgebäude sorgte bei seiner Einweihung 1926 mit seiner Glasfassade und dem Sichtbeton für großes Aufsehen. Foto: Heidi Scharvogel/dpa-tmn
Sachsen-Anhalt 100 Jahre Bauhaus Dessau: Zu den Bauwerken der Designschule
Da steht es vor uns: das berühmte Bauhausgebäude in Dessau - mit dem weltbekannten Schriftzug und der vollverglasten Fassade. Beides war an Bauwerken völlig neu vor hundert Jahren, als das Bauhaus von Weimar nach Dessau zog.
Das Jubiläum wird ab dem 4. September groß gefeiert, mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen. Die Dessauer Jahre von 1925 bis 1932 gelten als die produktivste Zeit der Designschule. Mehrere Gebäude in der Stadt zeugen bis heute davon. Eine Radtour verbindet sie. Leih-Fahrräder stellt die Tourist-Information in der Ratsgasse gegen Gebühr bereit.
Wir starten unsere Tour am erwähnten Bauhausgebäude. Üppig in seinem Reichtum an Formen, Materialien, Spiegelungen, Farben und Lichtdimensionen sei das Gebäude, sagt Dorothea Roos, Leiterin der Bauabteilung der Stiftung Bauhaus, die uns begleitet. Alles von der Architektur bis zum Mobiliar ist durchkomponiert.
Da sieht die Glasfassade je nach Lichteinfall immer anders aus. Glimmer im Putz des Gebäudesockels reflektiert das Licht. Zwei verglaste Fronten im Treppenhaus wirken offen und repräsentativ. Die Lampenkonstruktion an der Decke des Eingangsbereichs leitet die Blicke Richtung Aula.
Betreten auf eigene Gefahr
Zu dem Gebäudekomplex gehört auch das Atelierhaus. Hier wohnten Studierende und Lehrende. Heute können in den teils reinszenierten Zimmern Gäste übernachten. Minimalistisch, hell und schlicht präsentieren sich die Räume mit Bett, Schreibtisch, Kleiderschrank, Waschbecken und Balkon.
Freischwebend wirken die kleinen Betonplatten der Balkone mit einem etwa 80 Zentimeter hohen Geländer aus drei Stahlrohren – nichts für Menschen mit Höhenangst. Gäste betreten sie auf eigene Gefahr, da die Geländer nicht den heutigen Sicherheitsvorschriften entsprechen, aber aufgrund des Denkmalschutzes nicht verändert werden.
Vom Bauhausgebäude führt die Radroute durch den Park Georgium zum Kornhaus. Das von einem Bauhäusler entworfene Veranstaltungsgebäude mit Restaurant besitzt einen halbrunden Gastraum mit verglaster Wand, die zur Elbe zeigt. Tipp von Gästeführerin Martina Koppe: da sein, wenn die Sonne untergeht. Denn diese treffe im Wasser der Elbe auf den Horizont.
Doch wir radeln weiter zu den Meisterhäusern, die wie das Bauhaus-Gebäude zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. Hier residierten die Professoren, unter anderem Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Die Doppelhäuser sind extra für sie entworfen worden.
Einzig Direktor Walter Gropius bekam sein eigenes Haus, das allerdings im Krieg zerstört wurde. Heute zeigt ein Nachbau die Form. Abstrahierte Fensteröffnungen und Balkonplatten ohne Geländer irritieren und verdeutlichen, dass es nicht das Original sein kann.
Wände in Gold und Schwarz
Die Grundrisse der Häuser sind gleich. Individuell ist dagegen die Farbgestaltung. Im Haus von Wassily Kandinsky und Paul Klee hätten Restauratoren zig Farbschichten gefunden, so Dorothea Roos.
Aktuell präsentiert sich das Wohnzimmer im Kandinsky-Haus mit einer goldfarbenen Wand, die übrigen sind in einem Lachs-Apricot-Ton gehalten mit schwarzen Türen und goldenen Türrahmen - durch einen fällt der Blick in das schwarze Esszimmer. «Muss man mögen», sagt ein Besucher.
Für damalige Verhältnisse komfortabel ist die Ausstattung der Häuser mit fließend Warmwasser, Wassertoilette und Gasheizung. Ähnliches sollte auch die Siedlung Törten bieten, die Walter Gropius im Auftrag der Stadt Dessau entworfen hat. Sie liegt ebenfalls an der Radroute.
Auf dem Weg dorthin besuchen wir das Bauhaus-Museum mit einer Sammlung von 50.000 Exponaten, unter anderem Figuren aus den Materialtänzen und die berühmten Freischwinger Stahlrohrstühle. Auch am historischen Arbeitsamt kommen wir vorbei. Das runde Bauwerk mit Glasdach hat fünf Eingänge - je einen für verschiedene Berufsgruppen.
Schnell und kostengünstig bauen
Vorbei an Plattenbauten geht es zur Siedlung Törten im Stadtsüden. Dort besichtigen wir das «Haus Anton» – mit Holzherd, ohne Gastherme. Diese ist wohl dem Auftrag schnell und kostengünstig zu bauen zum Opfer gefallen.
Das «Haus Anton» ist noch nahezu im Originalzustand erhalten.
Da sind zum Beispiel die Fensterbänder mit Stahlrahmen zu sehen. In fast allen Nachbarhäusern wurden sie ausgetauscht. So waren die Stahlrahmen zwar haltbarer als Holz, aber die Fenster isolierten schlechter.
«Die Bewohner haben gleich nach der Fertigstellung begonnen, die Reihenhäuser zu erweitern und umzugestalten», sagt Dorothea Roos. «Man könnte sagen, dass die Häuser wohl nicht so gut waren - oder dass es ein tolles Gesamtkonzept ist, das viel Veränderung aushält.» Schließlich sind die Häuser bis heute bewohnt.
Erste Versuche Richtung Plattenbau
Zudem war die Siedlung laut Roos eine Art Forschungsprojekt: «Gropius hat viel ausprobiert, dokumentiert und bewertet. Er hat zum Beispiel Steine in verschiedenen Größen und Formen produziert und erste Versuche Richtung Plattenbau unternommen. Nach dem Krieg haben Bauhausschüler diese aufgegriffen und frühe Plattenbausiedlungen in Berlin gebaut.»
So haben nicht nur ikonische Einrichtungsgegenstände von Bauhaus-Mitgliedern, wie die Stahlrohrstühle von Marcel Breuer oder die Lampen von Marianne Brandt, den Sprung in die Gegenwart geschafft, auch den industriellen Wohnungsbau haben die Bauhäusler nachhaltig beeinflusst.
Tipps, Links, Praktisches:
Reiseziel: Die Stadt Dessau-Roßlau liegt in Sachsen-Anhalt. Touristisch interessant sind neben dem Bauhaus etwa das Unesco-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz und das Unesco-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe.
Anreise: Mit der Bahn dauert die Fahrt nach Dessau von Berlin aus gut anderthalb Stunden, von Frankfurt am Main und München jeweils knapp fünf Stunden. Für die Anreise mit dem Auto müssen ähnliche Fahrzeiten eingeplant werden.
Radtour: Die Bauhausbauten-Radtour ist 22 Kilometer lang und ausgeschildert sowie in Stadtpläne eingezeichnet, die es bei der Tourist-Information gibt. Sie teilt sich in eine Nord- (8,5 Kilometer) und eine Südrunde (13,5 Kilometer). Fahrräder können für 11 (Tourenrad) bzw. 27,50 (E-Bike) Euro pro Tag und Rad bei der Tourist-Information ausgeliehen werden.
Eintritt: Wer die erwähnten Bauhaus-Gebäude besuchen möchte, zahlt einmal 9 Euro (ermäßigt 7 Euro); Führungen kosten 7 Euro extra. Personen bis 18 Jahre zahlen nichts. Der Eintritt ins Bauhaus Museum Dessau kostet 10 Euro (ermäßigt 6 Euro). Das an drei aufeinanderfolgenden Tagen gültige Kombi-Ticket für Museum und Bauhausbauten kostet 27 bzw. 16 Euro.
Unterkunft: Authentisches Bauhaus-Flair verspricht das Bauhaus Ateliergebäude, auch Prellerhaus genannt. Hier wohnten Besucher wie Studierende des Bauhauses, heutige Gäste zahlen für eine Nacht in einem reinszenierten Einzelzimmer ab 65 Euro. Doppelzimmer kosten ab 75 Euro. Die gut 20 Quadratmeter großen Zimmer sind mit einem Waschbecken ausgestattet, pro Etage mit sechs Zimmern gibt es eine Dusche, ein WC und eine kleine Teeküche.
Feiern: Den Auftakt der Veranstaltungen zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses in Dessau bildet das Bauhausfest vom 4. bis 9. September im Bauhausgebäude, unter anderem mit einer Neuinterpretation der Materialtänze von Oskar Schlemmer und der Uraufführung der «Voices of Bauhaus», einer Partitur des Komponisten und Sound-Künstlers Piero Mottola. Diverse Ausstellungen widmen sich dem Jubiläums-Motto «An die Substanz» und befassen sich etwa mit Glas, Beton und Metall. Der digitale Rundgang «Unsichtbares Bauhaus Dessau» führt zu heute überwiegend nicht mehr sichtbaren Orten aus der Ankunftszeit der Bauhäusler, als das Bauhausgebäude und die Meisterhäuser noch nicht existierten.
Weitere Infos: bauhaus-dessau.de; visitdessau.com/welterbe/bauhaus