Reisebericht New York Im Stadtteil Brooklyn wohnt es sich am besten
Langsam färbt sich der Himmel über New York orangerot. Die Zeit scheint stillzustehen. Nur ein paar Frühaufsteher laufen über die Brooklyn Bridge und verfolgen das Naturwunder am wolken - losen Julihimmel. Im Westen erstrahlen die Skyscraper von Lower Manhattan in Goldrot, im Osten erwacht Brooklyn. Dank der sechs Stunden Zeitverschiebung fühlt sich es sich morgens um halb sechs für uns noch an wie mitten am Tag. An unserem ersten Morgen können wir diesen seltenen Moment ganz ausgeschlafen genießen, haben das Wahrzeichen Brooklyns fast für uns allein und den unverstellten Blick auf die Skyline Manhattans noch dazu. Früher symbolisierte die mächtige Hängebrücke den Traum der Brooklynites, wie die rund 2,6 Millionen Bewohner genannt werden, den Sprung über den East River in das bessere Leben von Manhattan zu schaffen. Heute gilt sie als »Fluchtroute« für gestresste Großstädter, die die Vielseitigkeit und die multikulturellen »Neighborhoods « von Brooklyn zu schätzen wissen. Längst ist für Red Hook oder Bushwick – Bezirke, die früher für ihre hohe Kriminalitätsrate bekannt waren – das lebendige Miteinander kennzeichnend geworden, das Brooklyn so attraktiv macht.
Brooklyns Neighborhoods – Jedes Viertel hat seinen eigenen Charme
Neben der Auffahrt zur Brooklyn Bridge thronen die Sandsteinhäuser des schicken BROOKLYN HEIGHTS über dem East River. Von der Promenade aus bietet sich ein unbezahlbarer Blick auf die Skyline von Manhattan. Ein Hauch von Bohème liegt über den begrünten Straßen des alten Viertels. Die »Stoops«, die hohen Treppen zu den Hauseingängen, kennt man aus zahlreichen Filmen: Cher machte Cranberry St. und Columbia Heights einst berühmt, als sie in »Mondsüchtig« verträumt eine Dose vor sich her kickte. Zwischen Expressway und der vibrierenden Atlantic Ave stritten und liebten sich z. B. Jack Nicholson und Anjelica Huston in »Die Ehre der Prizzis«.
Ecke Atlantic Ave./Henry St. liegt das ruhige »Tazza«, in dem Laptops und Handys untersagt sind. Perfekt fürs Frühstück (Muffins US$ 2,95). Pittoresker ist »Iris Café« (20 Columbia Pl.). Mein Tipp: die Scones (US$ 7) und der Avocado-Toast mit Eiern (US$ 11).
Vorgärten als Kunstwerke aus Blüten, Sträuchern und Heiligenbildern – das italo-amerikanisch geprägte CARROLL GARDENS hat Flair. Hierher kommt man für ein gepflegtes Glas Wein oder die Eiskreationen der »Brooklyn Farmacy & Soda Fountain« (ab US$ 12). Eine Institution für Hot Dogs (ab US$ 2) ist der »Gowanus Yacht Club« (323 Smith St.) mit seinen schlichten Holzbänken. Ebenso unprätentiös ist »Vinny’s Of Carroll Gardens« (295 Smith St.), wo man bei Spaghetti Bolognese (US$ 15) oder Tortellini (US$ 16) die typische Atmosphäre aufsaugt.
Auf der Court St. wird »Vintage« großgeschrieben. Feinste Zwirne aus den 1920ern bis zu den 1990er Jahren bieten Olive’s für Frauen (434 Court St.) und Olaf’s (453 Court St.) für Männer. Gebrauchte Schallplatten und frisch ge - brühten Kaffee gibt’s bei »Black Gold« (461 Court St.).
Direkt gegenüber der Freiheitsstatue
Hurrikan Sandy überflutete 2012 RED HOOK, seine Bewohner lebten ohne Strom in einer Geisterstadt. Sie krempelten die Ärmel hoch und bauten ihr Viertel wieder auf. Entstanden ist eine aufstrebende Gegend mit industriellem Hafencharme und wachsender Kreativszene. Am Pier 44 ankert das Waterfront Museum, ein restaurierter Frachtkahn von 1914. »Ich habe den Kahn vor über 30 Jahren für ein paar Dollar in Jersey gekauft und ihn mühsam renoviert«, erklärt Captain David Sharps. Seither ist er auch ein Platz für Kulturschaffende. Der kleine Waterfront Garden nebenan und der nahe Valentino Park & Pier zählen zu den schönsten Plätzen im Viertel. Tagsüber überblickt man die Freiheitsstatue und den Hafen, fährt gratis Kajak (http://redhookboaters.org) und hilft den Red Hook Boaters ein wenig beim Sauberhalten des Strandes. Am Abend trifft man sich zum romantischen Sunset-Picknick. Nur die Fähre und der 61er Bus fahren hierher. Trotzdem sind eine Handvoll Cafés, Bars und Lobster-Restaurants bereits eingezogen und gut besucht.
Viele New Yorker kommen nur wegen »Steve’s Authentic Key Lime Pies« hierher (185 Van Dyke St., ab US$ 3). Frische Meeresfrüchte genießt man auf der Terrasse des »Brooklyn Crab« (24 Reed St., 6 Austern ab US$ 16), Hummer in allen Variationen im »Red Hook Lobster Pound« (284 Van Brunt St., ab US$ 25). Das Bier danach bekommt man in der Seemannskneipe »Bait & Tackle« (320 Van Brunt St., ab US$ 2).
Schicke Kaffeebars, Hipster und Graffiti
Vor wenigen Jahren wagten sich noch nicht einmal Taxifahrer über die Williamsburg Bridge. Inzwischen hat sich WILLIAMSBURG voller restaurierten Lagerhallen und Brauereien zur Hipster-Hauptstadt gemausert. Zum Stöbern laden die kleinen, lokalen Boutiquen auf der Bedford Ave. zwischen McCarren Park und Metropolian Ave. ein. Überall duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee und Gebäck. Bärtige junge Männer und Frauen mit Hüten und schwarzen Brillen schlürfen Soya Latte.
Zurzeit ist auch BUSHWICK weiter östlich mit seiner farbenfrohen Street Art groß im Kommen. An fast jeder Wand prangt ein gespraytes Kunstwerk und täglich eröffnen neue fantastische Restaurants und Bars.
Traumhaft ist die Außenterrasse des »Diviera Drive« (131 Berry St., Cocktails US$13, Bier US$ 5–10). Ein Barbecue-Favorit ist die »Fette Sau« (354 Metropolitan Ave., wechselnde Karte mit Fleisch ab US$ 23/lb). Unterhalb der Williamsburg Bridge liegt die »East River Bar«, das Zuhause des St. Pauli Fan Clubs New York (97 South 6th St.).
»Stell Dir die Straßen ohne Kinderwagen vor und die Weißen wären Schwarze«, lacht Frank, Kellner in der »Milk Bar« in PROSPECT HEIGHTS. »So hat meine Hood vor ein paar Jahren noch ausgesehen. Wenn du heute hier wohnst, dann hast du’s gerne gemütlich«, fügt er hinzu. Dabei geht es ziemlich lebhaft zu entlang Vanderbilt, Flatbush, 5th und 7th Avenue von PARK SLOPE. Friseure und Nagelstudios wechseln sich mit Eisläden, Bäckereien, Boutiquen, Cafés und Restaurants ab. Inzwischen haben es auch die großen Ketten wie Starbucks oder Dunkin Donut hierher geschafft. Sehr zum Verdruss vieler Alteingesessener. Denn sie treiben die Mieten in die Höhe. Nach wie vor sitzen aber Jung und Alt auf den »Stoops«, halten ein Schwätzchen oder lesen.
Leckere Burger und Salate genießt man auf der Terrasse des »Tin Kettle« (611 Vanderbilt Ave.), Kaffee und Snacks in der »Milkbar« (620 Vanderbilt Ave.), Livemusik, Comedy und Partys in der Union Hall (702 Union St., www.uni onhallny.com, Brooklyn Lager US$ 6).
TIPP BROOKLYN – Fünf Dinge, die Sie nicht verpassen sollten
1. BROOKLYN BRIDGE PARK Unterhalb von Brooklyn Heights laden Wiesen, Sportstätten und traumhafte Aussichten zum Bummeln und Verweilen ein. New Yorker kommen auch gern für Picknicks und spontane Partys. Den Sommer über gibt es außerdem viele Gratis-Veranstaltungen, z. B. Auftritte von Stars der Metropolitan Opera, Open-Air-Kino und Lesungen und Sportangebote (www.brooklynbridgepark.org ).
2. DITMAS PARK Fast wie in den Südstaaten muten die rund zehn Blocks viktorianischer Villen mit Schaukelstuhl und Hängematte auf der Veranda an. Jedes Kolonialstilhaus hat seinen eigenen Charme.
3. CONEY ISLANDS STRÄNDE Nur gut 30 Minuten braucht der Q-Train von Downtown Brooklyn zum Sandstrand Brighton Beach. Verpflegung gibt’s bei den russischen Straßenhändlern auf der Brighton Beach Ave. (Metro Ocean Pkwy).
<p>4. SMORGASBURG Der beliebteste Street-Food-Markt findet samstags am East-River-Ufer in Williamsburg und sonntags im Prospect Park statt (11–18 Uhr).
5. BUSHWICK GRAFFITI AND STREETART TOUR Oft illegal, aber auch im Auftrag der Besitzer wurden Zäune und Hauswände verschönert. Izzy und Mar ziehen mit den Teilnehmern einer pay-whatyou- wish-Tour mehr als zwei Stunden um die Blocks (www.freetoursbyfoot.com).
Unsere Autorin empfiehlt - Am Wochenende nach Queens
Ein laues Lüftchen weht über den East River, während die Fähre unter Brooklyn und Manhattan Bridge über das Wasser gleitet, vorbei an Lagerhäusern und Hafenkränen. Rund 20 Minuten später legt sie in Long Island City an.
Wie aus der Zukunft wirken die nagelneuen Wohnblöcke am Ufer. Einst standen hier Fabriken und Großbäckereien. Inzwischen hat sich eine lebendige Kunst-, Entertainment- und Filmszene angesiedelt. Rund zehn Minuten sind es zu Fuß vom Fähranleger zu einem der hübschesten Flohmärkte der Stadt: Auf dem LIC Flea & Food (5-25 46th Ave.) gibt’s Kleidung, Wohn-Deko und Handwerkskunst und Multikulti- Streetfood vom Feinsten. Mit dem Bus Q103 fährt man dann zehn Minuten den Vernon Blvd. entlang, besucht den Socrates Sculpture Park oder relaxt auf einer Bank am Wasser.
Ein Muss für Kunstliebhaber: der MoMA-Ableger »PS1«. Was hier an zeitgenössischer Kunst ausgestellt wird, setzt internationale Trends (22-25 Jackson Avenue, http:// momaps1.org, US$ 25). TIPP Von Juli bis September immer samstags feiert das »PS1« ab 12 Uhr Warm-up-Partys mit angesagten DJs (US$ 18–22).
TIPP MANHATTAN – Fünf Dinge, die Sie nicht verpassen sollten
Nur zehn Minuten braucht die Linie Q von Brooklyn zum Herald Square in Manhattan.
1. HIGH LINE PARK Von der 34 St. am Hudson River bis zum Whitney Museum im Meatpacking District führt ein mehrere Stockwerke hoher Spazierweg auf einer ehemaligen Bahntrasse. Grünflächen, Bänke und Skulpturen verlocken zum Durchatmen und Verweilen (www.thehighline.org).
2. ONE WORLD OBSERVATORY Wer sich alle fünf Boroughs einmal von oben ansehen möchte, sollte auf den 541 m hohen Turm fahren. In der 100. Etage bietet sich eine atemberaubende 360°-Aussicht. Die Bar »ONE MIX« lädt ein zum höchsten Drink der Stadt (Ecke West und Vesey St., https://oneworldobservatory.com).
3. STATEN ISLAND FERRY Vom Battery Park am Südzipfel legt die kostenlose Fähre ab, die ganz dicht an der Freiheits - statue vorbeifährt (www.siferry.com).
4. BROADWAY MUSICALS Viele Hollywood Stars möchten einmal am Broadway spielen. Zurzeit ist Bette Midler in »Hello Dolly« zu sehen und Glen Close in »Sunset Boulevard«. Vergünstigte Tickets gibt es über die App TodayTix.
5. WASHINGTON SQUARE PARK Um den berühmten Torbogen im Herzen von Greenwich Village herrscht immer reges Treiben. Vor allem gegen Abend sind Straßenkünstler und noch unbekannte Musiker am Start, auch Prominente werden immer mal wieder gesichtet.
Ausgesuchte Unterkünfte in Brooklyn In New York ist kaum ein Doppelzimmer unter US$ 100 zu bekommen. Es lohnt sich, eine Unterkunft etwas außerhalb, in der Nähe von U-Bahn- oder Bushaltestelle zu buchen oder ein Privatzimmer bzw. Ferienapartment (z. B. über AirBnB oder www.nyhabitat.de). Im Sommer wird Geld für die Klimaanlage verlangt. Besser als im Hotel frühstücken Sie i. d. R. in einem Café.
Autorin: Mona Schnell (4/2017)