Flug-VerspätungenFlugchaos am Himmel in den Sommerferien
Wolfgang Grupp will nur noch Helikopter fliegen. In einem offenen Brief an die Lufthansa beschwerte sich der 76-jährige Chef des Hemdenherstellers Trigema jüngst über einen Chaosflug, bei dem der eigentliche Termin storniert und der nächste Flug dann auch noch deutlich verspätet war. Fazit des eigenwilligen Unternehmers, der gern gemeinsam mit einem Schimpansen für seine T-Shirts wirbt: "Für mich war das der letzte Flug mit Lufthansa."
Was für Hubschrauberbesitzer Grupp nur Anlass für einen Wechsel des Verkehrsmittels ist, verhagelt Hunderttausenden von Reisenden derzeit jede Reiselust. Wer aktuell fliegen muss, der rechnet besser nicht damit, pünktlich am Ziel anzukommen: Fest gebuchte Ferienflüge lösen sich in Nichts auf, sorgsam geplante Tagesrandverbindungen wandern in die Tagesmitte und zerstören so mal eben zwei Urlaubstage, Direktflüge werden zu Umsteigeverbindungen bis tief in die Nacht. Und am Flughafen soll man dann auch noch häufig in die Maschine einer wildfremden Airline einsteigen.
Das hatten sich weder Reiseunternehmen noch Urlauber so vorgestellt. Das Flugreisejahr 2018 besteht bislang vor allem aus Chaos. Verspätungen und Flugausfälle sind die Regel. Dabei hatten alle gehofft, dass es endlich besser geht, nach dem Chaos mit Air Berlin im vergangenen Jahr. Die Probleme aber nehmen zu, und sie haben weiter viel mit der insolvent gegangenen Air Berlin und ihrer Tochter Niki zu tun. Der Markt hat sich nämlich noch längst nicht wieder beruhigt.
Bis Juni sind nach Angaben des Fluggastrechteportals EUClaim nicht weniger als 15000 Flüge in Deutschland gestrichen worden. Das sind 70 Prozent mehr als im bereits chaotischen Vorjahr. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der Flugzeuge, die unpünktlich starteten oder landeten signifikant. In Frankfurt stieg sie auf mehr als 50 Prozent, in München auf 38 Prozent.
Hauptproblemkind ist die Fluggesellschaft Eurowings. Die Lufthansa-Tochter wollte sich etwa die Hälfte der 140 ehemaligen Air-Berlin-Flugzeuge einverleiben, bekommt diese aber nicht rechtzeitig an den Start. Im gewaltig vergrößerten Flugplan knarzt es mächtig. Wie das Entschädigungsportal EU-Claim meldet, musste Eurowings allein im Juni 1092 Flüge ausfallen lassen. Die Fluggesellschaft wandte sich bereits mit Großanzeigen an die Passagiere und bat um Entschuldigung: Die Pünktlichkeit sei auf ein "inakzeptables Maß gesunken".
Nicht viel besser geht es Easyjet. Der britische Billigflieger, der sich den Großteil der Berlinrouten der Air Berlin gesichert hat, findet ebenfalls nicht genügend Flugzeuge und Crews, um all die neuen Strecken zu bedienen. Allein im Juni fielen 1300 Flüge aus - viele davon in wichtige Ferienregionen.
Aber auch die etablierten Ferienflieger wie Condor und Tuifly sind betroffen. Sie hatten zunächst gehofft, sich Flugzeuge und Crews aus dem Air-Berlin-Bestand einverleiben zu können und entsprechend ihre Flugpläne veröffentlicht. Als dann Niki Lauda statt ihrer das Rennen machte, arrangierten sie sich mit dem Ex-Rennfahrer und sicherten sich dessen Dienste und Flugzeuge. Doch dann stieg Billigflieger Ryanair bei Lauda ein, die Folge: Die angemieteten Laudamotion-Flieger wurden storniert, neue sind nur schwer zu finden.
Ryanair kann sich allerdings auch nicht ins Fäustchen lachen, sondern hat selbst Probleme. Europas größter Billigflieger hat Dutzende neue Strecken aufgelegt, bekommt aber wegen seiner schlechten Bezahlung keine Piloten dafür. Als klar wurde, dass Ryanair zu wenig Crews hat, begehrten auch noch die vorhandenen Flugkapitäne auf, sie wollen mehr Geld. Die Folge sind Streiks. Und mit ihnen wieder Verspätungen und Flugausfälle.
All diese Einzelprobleme treffen auf ein europaweites: überfüllte Lufträume, die von zu wenig Fluglotsen kontrolliert werden. Die europäische Luftfahrtsicherung Eurocontrol erwartet auch in den kommenden Jahren keinesfalls Entspannung, sondern noch mehr Verspätungen. Denn die Kapazitäten der Flughäfen und der Flugsicherung kommen mit dem stürmischen Anstieg der Passagiere und Flugbewegungen nicht hinterher. Schon empfiehlt der besonders betroffene Flughafen Frankfurt Passagieren, bis zu drei Stunden vor Abflug an der Sicherheitskontrolle zu erscheinen.
Für die Reisenden ist das Ganze nur noch ärgerlich: Zunächst hatten sich die Fluggesellschaften wie die Geier über die Start- und Landerechte der verblichenen Air Berlin gestürzt. Und jetzt sind sie nicht fähig, die Strecken zu bedienen, weil ihnen Flugzeuge und Crews fehlen.
Gleichzeitig erhöhen sie die Ticketpreise massiv. Allein Lufthansa verlangt zwischen 25 und 30 Prozent mehr pro Flug als vor einem Jahr, stellte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik fest. Es gibt weniger Leistung für mehr Geld.
Auf ihre Verantwortung angesprochen, reden sich die Airlines gern auf höhere Gewalt heraus. Der Grund ist klar: Dann müssen sie keinen Schadenersatz leisten. Oder sie versuchen sich mit Essensgutscheinen oder einem Upgrade preiswert aus der Affäre zu ziehen.
Das freilich müssen sich die Fluggäste nicht bieten lassen. Hat man ein Ticket gekauft, so hat die Fluggesellschaft eine Beförderungspflicht und muss darüber hinaus EU-einheitliche Ausgleichszahlungen leisten, wenn der Flug mehr als drei Stunden verspätet landet oder ganz annulliert wird. Dann kommt zum Zeitverlust wenigstens eine kleine finanzielle Entschädigung.
Das gilt auch, wenn fremde Fluggesellschaften eingesetzt werden. Verantwortlich bleibt immer die Gesellschaft, die das ursprüngliche Ticket ausgestellt hat, urteilte gerade erst wieder der Europäische Gerichtshof. Bei großer Verspätung bekommen Passagiere eine Entschädigung von der Airline, bei der sie ihren Flug gebucht haben - auch wenn das Flugzeug samt Besatzung zu einer anderen Gesellschaft gehört.
Weitere Informationen
Wer von mehr als drei Stunden Verspätung oder Annullierung eines Fluges betroffen ist, der hat gemäß EU-Verordnung Nr. 261/2004 Anrecht auf eine Ausgleichszahlung zwischen 250 und 600 Euro. Falls die Fluggesellschaft sich weigert zu zahlen, helfen die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) und spezialisierte Fluggastportale wie EU-Claim, EU-Flight und Fairplane. Die SöP arbeitet kostenlos, die Portale behalten als Honorar einen Teil der Ausgleichszahlung für sich.
(11.07.2018, srt)