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Reisen in ferne Länder bedeuten neue, einzigartige Erlebnisse - eine wichtige Motivation für den Aufbruch. Nachhaltig ist das aber nicht

Reisen in ferne Länder bedeuten neue, einzigartige Erlebnisse - eine wichtige Motivation für den Aufbruch. Nachhaltig ist das aber nicht

«Das Schuften legitimieren» Ein Nachhaltigkeitsexperte erklärt, warum wir reisen

Tolle Urlaubserlebnisse fehlen derzeit. Doch ist das Reisen nicht häufig nur eine Belohnung für die Routine des Alltags - auf Kosten des Klimas? So sieht das ein Nachhaltigkeitsexperte.

Das ganze Jahr fleißig arbeiten und sich zum Ausgleich eine Urlaubsreise in die Ferne gönnen: Klingt schön und ziemlich unproblematisch, oder? Nicht für den Nachhaltigkeitsexperten Prof. Felix Ekardt.

Er sieht Fern- und Flugreisen kritisch. Im Interview mit dem dpa-Themendienst erklärt der Jurist, Philosoph und Soziologe, was genau uns Erlebnisse in fernen Ländern bedeuten - und was das wiederum mit dem Klimaproblem zu tun hat.

Wird es uns sehr schmerzen, im Sommer wegen der Corona-Pandemie nur sehr eingeschränkt ins Ausland reisen zu können?

Prof. Felix Ekardt: Mich persönlich gar nicht, ich mache immer Regionalurlaub, aber viele Menschen sicherlich. Fernreisen gelten als das Ereignis schlechthin. Zugleich sind Flugreisen ökologisch so ziemlich das größte Desaster, das der Einzelne anrichten kann.

Besonders das Klima leidet, einschließlich der verheerenden Folgewirkungen des Klimawandels für Ökosysteme und Artenvielfalt. Fluglärm und Luftschadstoffe kommen noch oben drauf, mit tödlichen Folgen für andere Menschen.

Was sagt es über unser Leben, wenn uns dieser eher kurzzeitige Verzicht auf Auslandsreisen gleich so wehtut?

Ekardt: Verblüffender Weise sind gerade Ökos oft große Vielflieger, denn wer politisch interessiert und gebildet ist, ist oft auch weltläufig und vergleichsweise wohlhabend. Will man den Klimawandel aber gemäß dem Paris-Abkommen auf 1,5 Grad begrenzen, müssen die Emissionen in allen Sektoren - Verkehr, Strom, Wärme, Kunststoffe, Landwirtschaft - in maximal zwei Dekaden auf Null sinken. Neben technischem Wandel verlangt das auch neue Lebensstile.

Sie sagten einmal, dass viele Menschen in westlichen Ländern Erfahrungen und Erlebnisse für das Wichtigste im Leben halten - jetzt nicht reisen zu können, ist also ein großes Problem?

Ekardt: Wir alle schweben auf einer kleinen Kugel durchs riesige Weltall, und man kann sich durchaus fragen: Wozu stehe ich eigentlich morgens auf? Und warum tue ich mir den Stress auf der Arbeit an, wenn all die spannenden Projekte, denen wir uns so hingebungsvoll widmen, bei Licht betrachtet doch gar keinem größeren Sinn dienen?

Die alten Antworten - für Gott, fürs Vaterland, für den Führer - sind erkennbar verbraucht. Was könnte da das ganze Schuften und generell unser seltsames Tun besser legitimieren als eine aufregende Fernreise?

Geht es denn beim Reisen tatsächlich vor allem um neue Erfahrungen und aufregende Erlebnisse?

Ekardt: Nur so wird verständlich, warum man sich auf Reisen einlässt, die objektiv gar nicht besonders angenehm sind, mit drückend heißem Klima, schlechtem Essen und ungemütlichen Hotels. 1994 habe ich drei Monate in Israel gearbeitet. Doch bin ich durch diese vermeintliche Erfahrung jemand anderes geworden? Kenne ich jetzt wirklich das Land? Eher nein. Für kürzere und touristische Reisen gilt das noch mehr.

Was wäre aus Ihrer Sicht ein gesunder Ansatz für das Reisen?

Ekardt: Ein- oder zweimal im Leben in einem Sabbatical, gerne auch auf dem Landweg, wirklich etwas von der Welt zu sehen, kann weit eindrucksvoller sein als der ganze Reisestress, den wir uns heute antun. Erfahrungen und Erlebnisse sind nicht alles, und sie winken mitnichten nur auf Reisen. Das Sinnvakuum im postreligiösen Zeitalter werde ich nicht los, indem ich durch Feuerland oder Bangkok laufe.

Und mit der Völkerverständigung können wir auch ganz konkret in Europa beginnen. Davon abgesehen ist Europas Vielfalt an gutem Essen, kulturellen Hotspots und pluralistischen Lebensentwürfen weltweit fast konkurrenzlos - und es ist erreichbar ohne Flüge.

Regionaler zu reisen, wäre besser für das Klima. Aber viele Urlauber scheint das praktisch nicht zu kümmern. Wieso nicht?

Ekardt: Die Verhaltensforschung weiß schon lange: Faktenwissen und selbst Werthaltungen beeinflussen unser Verhalten nur begrenzt, trotz all der schönen Umweltbildung.

Hinzu kommen nüchterne Eigennutzenkalküle und Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung oder einfach nur die Schwierigkeit, mir Klimatote vorzustellen, wenn ich gerade in den Flieger zu meiner Traum-Destination steige. Zudem stecken wir alle in den Normalitätsvorstellungen einer fossil getriebenen Welt fest, zu der eben auch Flugreisen gehören.

Zur Person: Prof. Felix Ekardt ist Jurist, Philosoph, Soziologe, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Professor an der Universität Rostock.

(22.05.2020, dpa)

 
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