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Sollen Passagiere künftig erst dann eine Entschädigung erhalten, wenn die Verspätung mehr als fünf Stunden beträgt?

Sollen Passagiere künftig erst dann eine Entschädigung erhalten, wenn die Verspätung mehr als fünf Stunden beträgt?

Foto: Hannibal

Flugverspätungen Entschädigung bald erst ab 5 Stunden?

Nach fluggastfreundlichen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs schwenken Airlines zunehmend um. Sie berufen sich auf »außergewöhnliche Umstände« und verweigern Entschädigungszahlungen.

Der Urlaub begann mit einer elfstündigen Verspätung und mündete in einen jahrelangen Rechtsstreit. Im Mai 2006 hatte eine Passagierin einen Flug von Bremen über Paris und São Paulo nach Paraguay gebucht. In Bremen startete die Maschine mit zweieinhalb Stunden Verspätung. Dadurch verpasste die Reisende beide Anschlussflüge und kam einen halben Tag später am Zielort an. Das war zu viel, fand sie, und forderte eine Entschädigung. Doch erst der Europäische Gerichtshof (EuGH) klärte den Fall 2013 endgültig und sprach ihr eine Ausgleichszahlung von 600 Euro zu (26.02.2013, Rechtssache C 11/11). Die Airline hatte sich darauf berufen, dass beim Start noch keine hinreichende Verspätung vorgelegen habe. Ausgleichszahlungen bei Verspätungen stünden Fluggästen laut Verordnung aber erst ab einer Verzögerung von mehr als drei Stunden zu. Doch die Europarichter stellten klar: Entscheidend für den Anspruch sei nicht die Verspätung beim Abflug, sondern am Reiseziel.

 
Das Urteil ist nur eine von zahlreichen Entscheidungen, mit denen in der vergangenen Zeit die Rechte von Flugreisenden gestärkt wurden. So hatte der EuGH Ende 2012 noch einmal bestätigt, dass Flugreisende nicht nur bei Annullierungen, sondern auch bei längeren Flugverspätungen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung haben. Wer eine Verzögerung von mehr als drei Stunden hinnehmen müsse, sei genauso zu behandeln wie ein Passagier, dessen Flug gestrichen werde (23.10.2012, Rechtssache C-581/10 und C-629/10). Auch was die Versorgung von Fluggästen anbelangt, sprach der EuGH klare Worte. Als im Frühjahr 2010 der Vulkan in Island ausbrach, saß eine Frau aus Irland tagelang in Portugal fest, wurde von der Fluglinie aber nicht versorgt. Rund 1.000 Euro hatte sie in dieser Zeit für Hotel und Verpflegung ausgeben müssen. Doch die Airline verweigerte die Übernahme der Kosten. Zu Unrecht. Wenn ein Flug annulliert werde, so die Richter, müsse die Fluglinie für solche Kosten aufkommen, und zwar auch dann, wenn sie den Ausfall nicht verschuldet habe (31.01.2013, Rechtssache C 12/11).
 
»Die verbraucherfreundlichen Urteile des EuGH sind eine positive Entwicklung«, sagt Sabine Fischer-Volk, Reiserechtsexpertin der Verbraucherzentrale Brandenburg. »Sie zeigen aber auch, dass die EU-Fluggastrechteverordnung zu ungenau formuliert ist. Um ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, brauchen Passagiere häufig einen langen Atem.« Nicht selten säßen Airlines Forderungen aus. Gerade bei kleineren Streitwerten gäben Verbraucher dann auf und verzichteten auf eine Zahlung.
 
Beurteilt wird immer der Einzelfall
 
Weil die Fluggesellschaften vom EuGH in den vergangenen Jahren einen deutlichen Gegenwind verspüren, schwenken sie zunehmend auf eine neue Taktik um. Die Europäische Fluggastrechteverordnung schließt Entschädigungen nämlich aus, wenn der Flugausfall auf »außergewöhnlichen Umständen« beruht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte.
 
Was nun genau als außergewöhnlicher Um-stand anzusehen ist und was nicht, lässt die Verordnung im Dunkeln. Die Gerichte haben sich in den vergangenen Jahren jedoch mit einer Vielzahl von Fällen beschäftigt und kamen zu folgenden Ergebnissen: Schlechtes Wetter kann i. d. R. nicht als Entlastungsgrund herhalten. »Das, was im Winter gerne als ‚Schneechaos' bezeichnet wird, ist nicht selten auf schlechte Organisation zurückzuführen, etwa darauf, dass die Betreibergesellschaft nicht genügend Enteisungsmittel bereithält«, erklärt der auf Reiserecht spezialisierte Rechtsanwalt Jan Bartholl aus Berlin. Nur bei sehr plötzlich und unerwartet einsetzendem Schneefall, bei dem die Flugaufsicht keine Slots vergebe, könnte ausnahmsweise ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen. Auch Nebel oder Regen allein stellten keinen Entlastungsgrund dar, da ein entsprechend ausgestattetes Flugzeug und ein gut ausgebildeter Pilot auch bei starkem Nebel oder Regen starten oder landen könne, so der Anwalt.

 
»Technische Defekte am Flugzeug erkennen die Gerichte nur dann als außergewöhnliche Umstände an, wenn sie nicht Teil des normalen Betriebes und vom Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht beherrschbar sind«, weiß Bartholl. Die normale Wartung und Instandhaltung liegt dagegen allein im Verantwortungs- und Risikobereich der Airline. Mängel, die hier zu Tage treten, reichen für eine Befreiung von der Ausgleichszahlung nicht aus. Die Airline muss für solche Fälle Ersatzflugzeuge bereithalten.
Auch krankheitsbedingte Ausfälle der Besatzung gehören laut Anwalt i. d. R. zum normalen Betriebsablauf, von den Airlines könne verlangt werden, sich um Ersatzpersonal zu kümmern. Trifft das Flugzeug aufgrund einer Umlaufverspätung nicht rechtzeitig ein, liegt meist ebenfalls kein außergewöhnlicher Umstand vor. »Die Gerichte beurteilen bei Verspätungen immer den einzelnen Flug«, erklärt Bartholl. Ein zu eng gesteckter Zeitplan falle daher in die alleinige Risikosphäre der Fluglinie. Denn auch hier müsse die Airline alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um Verspätungen zu verhindern.
 
Die EU will die Fluggastrechte ändern
 
Gern werden von den Airlines auch Streiks ins Feld geführt. Diese können laut Rechtsprechung inzwischen einen Entlastungsgrund darstellen. Anwalt Bartholl gibt allerdings zu bedenken, dass die Airline auch beweisen muss, dass der jeweilige Streik Auswirkungen auf den konkreten Flug hatte. »Sich einfach nur auf einen Streik zu berufen, reicht nicht aus, denn irgendwo auf der Welt wird ja immer gestreikt.«

Doch längst nicht alle offenen Fragen sind geklärt. »Das sorgt für große Rechtsunsicherheit bei den Verbrauchern. Selbst ein erfahrener Reiserechtler muss die aktuelle Rechtsprechung ganz genau kennen, um den Fall einschätzen zu können«, weiß Verbraucherschützerin Fischer-Volk. Doch warum landen vergleichsweise so wenige Fälle vor dem EuGH? »Die Luftfahrtunternehmen sind nicht an einer höchstrichterlichen Klärung von Streitfragen interessiert«, erklärt Rechtsanwalt Professor Ronald Schmid aus Wiesbaden. »Eine Entscheidung des EuGH wäre für alle Gerichte in Europa bindend. Die Fluggesellschaften möchten be-stimmte Fragen aber lieber im Nebulösen lassen, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Sie geben dann im Laufe des Prozesses lieber nach«.
 
Nun möchte die Europäische Union für mehr Rechtssicherheit sorgen. Fluggesellschaften sollen sich nicht so leicht auf außergewöhnliche Umstände berufen können. So soll eine Liste erstmals beispielhaft Fälle nennen, die nicht als höhere Gewalt anzusehen sind. Dazu sollen technische Probleme zählen, die bei der routinemäßigen Wartung festgestellt werden, sowie der Ausfall der Besatzung. Gleichzeitig soll festgeschrieben werden, wann tatsächlich außergewöhnliche Umstände vorliegen, nämlich bei Naturkatastrophen oder Streiks. Bei Verspätungen und Annullierungen aufgrund außergewöhnlicher Umstände ist außerdem vorgesehen, dass die Luftfahrtunternehmen die Unterstützungsleistungen minimieren können. So soll die Unterbringung auf drei Nächte und einen Höchstbetrag von 100 Euro pro Nacht und Fluggast begrenzt werden. Passagiere sollten künftig erst dann eine Entschädigung erhalten, wenn die Verspätung bei Flügen von bis zu 3.500 Kilometern mehr als fünf Stunden, bei Entfernungen von bis zu 6.000 Kilometern mehr als neun Stunden beträgt. Bei noch weiteren Flügen soll die Verspätung sogar zwölf Stunden überschreiten müssen. Bisher sah die Verordnung Ausgleichszahlungen bereits ab einer Verspätung von drei Stunden vor.
 
Sollten die Änderungen tatsächlich so in Kraft treten, wäre das ein Rückschlag für Fluggäste. »Dass die EU die Verspätungsschwelle für Flüge heraufsetzen und die Betreuungsleistung ‚Übernachtung' nach Anzahl und Kosten begrenzen will, bedeutet eine Verschlechterung des derzeitigen Verbraucherschutzes trotz verbraucherfreundlicher Urteile des EuGH und ist eindeutig ein Zugeständnis an die Branche", sagt Verbraucherschützerin Fischer-Volk. Auch Professor Ronald Schmid kritisiert den Vorstoß der EU-Kommission: "Trotz einiger positiver Aspekte stellen die Neuerungen unter dem Strich keine Verbesserung, sondern eindeutig eine Verschlechterung der bestehenden Passagierrechte dar." Er ist allerdings vorsichtig optimistisch, dass es im Laufe des Verordnungsverfahrens noch zu Änderungen zugunsten der Verbraucher kommen wird und vertraut insbesondere auf das EU-Parlament. Mit den neuen Regelungen wäre ohnehin frühestens Anfang 2014 zu rechnen.

VERSPÄTUNG UND ANNULLIERUNG

Diese Ansprüche haben Fluggäste 
 
Bei Flugausfällen und Verzögerungen sind die Fluggesellschaften verpflichtet, für die Betreuung der Passagiere zu sorgen, und zwar abhängig von der Wartezeit und der Entfernung. Bei einer Strecke von bis zu 1.500 Kilometern muss der Fluggast zwei Stunden unbetreut ausharren, bei mehr als 3.500 Kilometern vier Stunden. Zu den Betreuungsleistungen zählen Getränke und Mahlzeiten sowie die Möglichkeit, zwei Telefonate zu führen, zwei Mails oder Faxe zu verschicken. Dauert die Verzögerung über Nacht an, muss auch für die Unterbringung im Hotel und den Transfer gesorgt werden.
 
Darüber hinaus haben Passagiere Anspruch auf eine anderweitige Beförderung mit dem nächsten möglichen Flug. Sowohl die Betreuungsleistungen als auch die Alternativbeförderung muss die Fluggesellschaft unabhängig davon erbringen, ob sie ein Verschulden trifft.
 
Zusätzlich haben die Fluggäste bei Verspätungen von mehr als drei Stunden oder Annullierung ihres Fluges Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Bei einer Flugstrecke von bis zu 1.500 Kilometern sind es 250 Euro, bei Flügen von mehr als 1.500 bis zu 3.500 Kilometern 400 Euro, bei Flügen über 3.500 Kilometer 600 Euro.
 

AUSSERGEWÖHNLICHE UMSTÄNDE

Wer muss was beweisen?

Die EU-Fluggastrechteverordnung schließt Entschädigungen aus, wenn der Flugausfall auf "außergewöhnlichen Umständen" beruht. Diesen Passus nutzen viele Airlines als Schlupfloch. Sie behaupten gegenüber dem Fluggast pauschal, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorgelegen habe, ohne das zunächst näher zu begründen. Die Fluggäste befinden sich dabei aber in gar keiner schlechten Position. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände liegt laut Verordnung nämlich beim Luftfahrtunternehmen. Um Ansprüche geltend zu machen, müssen die Passagiere im Prinzip nichts weitervortragen, als dass der Flug verspätet war. Da heute jede Flugbewegung erfasst wird, sind Abflug und Ankunft in den Systemen hinreichend belegt.

(20.09.2013, rp)
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