Überbucht, annulliert, verspätet
Geld gibt es nur für wenige Passagiere
Eigentlich ist es ein Skandal. Seit sieben Jahren gibt es die EU-Verordnung zu den Fluggastrechten, doch kaum eine Fluggesellschaft hält sich daran. Ein Grund dafür ist, dass die betroffenen Fluggäste vom Gesetzgeber im Stich gelassen werden. Jetzt will ein privates Unternehmen die Initiative ergreifen und den Passagieren notfalls auch per Klage bei der Durchsetzung ihrer Rechte helfen.
Seit 2005 haben Flugreisende Anspruch auf Entschädigung und Unterstützung, wenn ihr Flug überbucht ist, annulliert wird oder erheblich verspätet ist. Zwischen 250 und 600 Euro müssen ihnen die Fluggesellschaften zahlen. Zusätzlich ist die Fluggesellschaft bei einer Verspätung des Abflugs um mehr als zwei Stunden verpflichtet, die wartenden Passagiere mit unentgeltlichen Mahlzeiten und Erfrischungen zu versorgen, und ihnen zwei Telefongespräche, Faxe oder E-Mails zu ermöglichen. Verzögert sich der Flug bis zum nächsten Tag, muss sie die Passagiere kostenlos in einem Hotel unterbringen und auch die Fahrt dorthin und zurück organisieren.
Das ist die Theorie. In der Realität, so schätzt die "Deutsche Gesellschaft für Fluggastrechte - die Passagierpartner (DGFFR)", gibt es an deutschen Flughäfen jeden Tag rund 5000 Fälle, bei denen Entschädigungsansprüche nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 entstehen. Nur rund 20 Prozent davon würden verfolgt. Und letztlich bekäme nur ein Bruchteil der Passagiere das, was ihnen zusteht.
Für Kunden des kürzlich gegründeten Unternehmens soll sich das ab kommenden Sommer ändern. Für sie prüft die DGFFR automatisch, ob sie von Flugunregelmäßigkeiten betroffen sind. Wenn das der Fall sein sollte, dann fordert sie ohne weiteres Zutun des Fluggastes die gesetzliche Entschädigung von der Fluggesellschaft ein, notfalls auch per Klage. Den Inkasso-Service wird es allerdings nur für Kunden der Reisebürokooperation Schmetterling geben, und dort auch nur bei Reisebüros, die bei dem Projekt mitmachen.
Kosten entstehen weder dem Fluggast noch dem Reisebüro, verspricht Alexander Gebhardt, Rechtsanwalt und künftiger Geschäftsführer der DGFFR. Nur aus Menschenfreundlichkeit arbeiten Gebhardt und sein Netz kooperierender Rechtsanwälte in ganz Deutschland allerdings trotz des klingenden Namens der Gesellschaft nicht. Die DGFFR behält für ihre Dienstleistung 30 Prozent der Entschädigungssumme ein. Der Rest wird auf das Konto des Kunden überwiesen. Neu ist die Idee übrigens nicht. Bereits seit 2009 gibt es das Hamburger Unternehmen Flug-Storno (www.flug-storno.de). Auch dieser Dienstleister arbeitet auf Erfolgsbasis und berechnet pauschal 7,90 Euro oder bei einer Erstattung unter 23,70 Euro nur ein Drittel der Erstattung.
Möglich macht diesen Geschäftszweig das Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Schlichtung für den Flugverkehr. Es gibt zwar seit drei Jahren die "Schlichtungsstelle Öffentlicher Personenverkehr". Sie kümmert sich aber fast ausschließlich um Bahnverkehr. Grundsätzlich stünde sie auch Flugreisenden offen. Doch bisher, so der Verbraucherzentrale Bundesverband, habe noch keine Fluggesellschaft das Angebot zur Zusammenarbeit mit der Schlichtungsstelle angenommen. Begründung: Der Kundendienst der Fluggesellschaften sei so gut, dass sie keinen externen Schlichter brächten.
Bei einer Online-Umfrage der Verbraucherzentralen ergab sich dagegen ein anderes Bild. 76 Prozent der Umfrageteilnehmer wurde von der Fluggesellschaft bei Fällen von Überbuchung, Annullierung und Verspätung keinerlei Entschädigung angeboten. Und wenn sich die Verbraucher beschwerten, dann wurden ihre Schreiben sehr zögerlich bearbeitet: 22 Prozent erhielten gar keine Antwort, nur in drei Prozent der Fälle verlief die Beschwerdebearbeitung reibungslos. Der Bundesverband Verbraucherzentrale fordert daher von der Bundesregierung, eine Schlichtung für den Flugbereich vorzuschreiben - schließlich sehe das auch der Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung vor.
1. Verordnung (EG) Nr. 261/2004
Bei Überbuchung und Ausfall des Fluges muss die Fluggesellschaft einen Ersatzflug anbieten. Wenn der Passagier nicht mehr fliegen will, erhält er den Flugpreis zurück. Wenn er auf den Ersatzflug wartet, kann er bei längeren Wartezeiten auf einer Entschädigung bestehen.
- Sie beträgt bei Kurzstreckenflügen bis 1500 Kilometer und einer Verzögerung von mehr als zwei Stunden 250 Euro.
- Bei Mittelstreckenflügen (1500 bis 3000 Kilometer) und einer Verzögerung von mehr als drei Stunden gibt es 400 Euro Ausgleichszahlung.
- Bei Langstreckenflügen ab 3500 Kilometern Länge und einer Verzögerung von vier Stunden muss die Fluggesellschaft 600 Euro zahlen.
Zusätzlich ist die Fluggesellschaft bei einer Verspätung des Abflugs um mehr als zwei Stunden verpflichtet, die wartenden Passagiere mit unentgeltlichen Mahlzeiten und Erfrischungen zu versorgen, und ihnen zwei Telefongespräche, Faxe oder E-Mails zu ermöglichen. Verzögert sich der Flug bis zum nächsten Tag, muss sie die Passagiere kostenlos in einem Hotel unterbringen und auch die Fahrt dorthin und zurück organisieren. Ab einer Verspätung von fünf Stunden kann sich der Fluggast den Flugpreis erstatten lassen. Entschädigungszahlungen bei Verspätungen sieht die EU-Verordnung nicht vor, das Montrealer Übereinkommen von 1999 dagegen schon (www.transportrecht.de/transportrecht_content/1145518442.pdf).
Die EU-Verordnung gilt für alle Flüge, die aus der Europäischen Union starten und für Flüge von einem Nicht-EU-Staat in die Europäische Union durch die eine Fluggesellschaft mit Sitz in der Europäische Union. Sie gilt für alle Flugreisen, egal ob Billigflug, Geschäftsreise oder Ferienflug mit einem Reiseveranstalter. Bedingung ist, dass die Passagiere mindestens 45 Minuten vor dem geplanten Abflug am Schalter sind. Ein ausführliches Informationsblatt ist auf der Webseite des Luftfahrt-Bundesamtes (www.lba.de) zu finden, ebenso Beschwerdeformulare zum Download.
(14.06.12, srt, Rainer Krause)